Wie entsteht eine neue rassespezifische Prüfung?

Eine Rasse, die offiziell (wohl eher zufällig) zu den Retrievern gehört, ist dort mit ihrer kleinen Population wohl auch recht gut aufgehoben – so zumindest die Meinung vieler.

Alle 6 Retrieverrassen arbeiten – wie hinlänglich bekannt - nach dem Schuss, … alle?

Nein, da gibt es ja noch die Nova Scotia Duck Tolling Retriever (Kurzform: Toller), diese Hunde haben ihre ursprüngliche Arbeit auch vor dem Schuss – sie sind die einzige vom JGHV anerkannte Lockhunderasse.

Die ersten belegten Aufzeichnungen zu dieser Jagdmethode, bei der Fuchsähnliche Hunde zum Einsatz kamen, wurden bereits 1653 in der früheren französischen Kolonie Acadia, dem heutigen Nova Scotia getätigt.

Die weitere Entstehungsgeschichte der Toller zu einer eigenständigen Rasse würde den Rahmen dieser Aufzeichnung sprengen.

1982 kamen die ersten Toller von Canada nach Europa und die Rasse erfreute sich rasch – vor allem in Skandinavien – großer Beliebtheit. 1990 kam der erste Toller nach Deutschland und ab 1996 begann das kontrollierte Zuchtgeschehen im Deutschen Retriever Club (DRC e.V.).

Wie bei einigen anderen Retrieverrassen auch gab es einige Zuchtstätten, die eher weniger an der jagdlichen Arbeit mit diesen Hunden interessiert waren und sich stattdessen lieber im „Showbusiness“ versucht haben und immer wieder über die Interpretation des Rassestandard argumentiert haben.  Doch aus der Erfahrung vieler anderer Rassen, sollte eigentlich klar sein, dass dies zu einer gefährlichen Spirale auswachsen kann – Formwert als Zuchtziel – es wird über das Zuchtziel hinaus gezüchtet (‚Überinterpretation des Rassestandard‘) – dies kann (auch hier gibt es leider genügend negative Beispiele) tlw. mit Gefahren für Gesundheit und Wohlbefinden enden.

GsD ist hier in den letzten Jahren ein Umdenken bei unserer Rasse erkennbar.

Aber der Rassestandard bietet auch die Möglichkeit im Rahmen – der dort oft überlesenen Wesensmerkmale – für eine jagdliche Prüfung als Zuchtvoraussetzung zu argumentieren.

Nachfolgend einige Auszüge aus dem Rassestandard:


Der Lockhund rennt, springt und spielt entlang des Strandes und kann dabei von einer Entenschar uneingeschränkt beobachtet werden. Manchmal verschwindet er dabei aus der Sicht, um schnell wieder zu erscheinen. Hierbei wird er von dem Jäger aus dessen Versteck unterstützt, der dem Hund kleine Stöcke oder Bälle zuwirft. Diese spielerische Aktion erweckt die Neugier der Enten, die in einiger Entfernung von der Küste schwimmen; sie werden somit in die Reichweite der Flintengeschosse gelockt. Der Toller wird dann zum Apportieren der toten oder angeschossenen Vögel geschickt.

(…) Der Nova-Scotia-Duck-Tolling-Retriever wurde zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts in Neuschottland erzüchtet, um Wasserwild anzulocken (oder zu ködern) und es zu apportieren.

(…) Der Toller ist sehr intelligent, sehr gelehrig und hat große Ausdauer. Als starker und befähigter Schwimmer ist er ein talentierter und verlässlicher Apportierer zu Wasser und zu Land, jederzeit bereit, schwungvoll zu agieren, sobald auch nur das geringste Anzeichen zur Notwendigkeit des Apportierens gegeben ist. Sein ausgeprägter Apportiersinn und sein Spieltrieb sind die unentbehrlichen Grundlagen für seine Lockfähigkeit.

(…) Der Toller wurde gezüchtet, um aus eisigen Gewässern zu apportieren.


Genau auf diese Beschreibungen aus dem Rassestandard wollten die Initiatoren einer Tollingprüfung ihre Hauptargumentation für eine eigene rassespezifische Prüfung legen.

In Schweden, wo es aktuell die weltweit größte Tollerpopulation gibt, gab es ab 1997 die ersten – damals noch inoffiziellen – Tollingprüfungen. Im Jahr 2009 wurden diese Prüfungen nach einigen Überarbeitungen der PO vom Schwedischen Kennel Club (SKK) und dem zugehörigen Rasseclub (SSRK) als offizielle Prüfung anerkannt und werden seit dem regelmäßig angeboten.

Die Initiatoren einer eigenen Prüfung in Deutschland wollten in der ersten Ausgestaltung einer PO das Hauptaugenmerk auf die Aspekte vor dem Schuss incl. der Ausdauer beim Tolling und der Zusammenarbeit mit dem Hundeführer legen.

Wichtig ist es auch die nur sehr schwer in Worte bzw. in Beurteilungskriterien zu fassenden Übergänge zwischen Spiel/Action und Standruhe/Steadyness mit in eine Bewertung einfließen zu lassen.

Für die eigentlichen Retrieverarbeiten nach dem Schuss gibt es bereits eine ausreichende Anzahl an jagdlichen Prüfungen im Prüfungskatalog des DRC, ebenso wollten wir keinen ausgeprägten Working- oder Cold-Game-Test mit ein wenig vorgelagertem Tolling.

Nach einigen Jahren Überzeugungsarbeit ist es nun soweit, wir haben die erste offizielle rassespezifische Jagdprüfung für unsere Toller.

Seit 2016 gibt es die als Anlagenprüfung konzipierte Tolling-Prüfung-Bronze und seit 2019 die als Zucht- und Leistungsprüfung konzipierte Tolling-Prüfung-Silber als anerkannte Prüfungen im Deutschen Retriever Club (DRC e.V.) – darauf können die Enthusiasten unter den Tollerzüchtern stolz sein.

Ein besonderer Dank geht an dieser Stelle an alle, die diese Idee bzw. dieses Vorhaben immer unterstützt haben.