Ist der Toller ein Retriever?
Schon des Öfteren habe ich auf diese (von mir nie laut ausgesprochene Frage) ein „Nein“ als Antwort erhalten. Auch habe ich selbst schon mehrmals versucht, Aufmerksamkeit auf dieses sehr wichtige Thema zu lenken.
Die immer wieder geführten Diskussionen über Das Arbeiten mit dem Toller und im speziellen Das jagdliche Arbeiten mit dem Toller haben mich einfach gepackt. Ich möchte andere für diese Art der Arbeit begeistern und sie davon überzeugen.
In der Ausgabe 4/99 von ‚TOLLAREN‘, der Klubzeitschrift des schwedischen Tollerklubs, fand ich einen Artikel mit der Überschrift ‚Är tollaren en retriever?‘. Mit meinen nach drei Semestern Volkshochschule noch sehr holprigen Schwedischkenntnissen machte ich mich daran, einzelne Abschnitte zu lesen. Recht schnell war mir klar, dass dieser Artikel unbedingt eine weitere Verbreitung verdient. So ließ ich ihn, nach Zustimmung durch den Autor Johan Stenebo, übersetzen. Wer Johan kennt, weiß, dass es eines seiner größten Anliegen ist, den Toller seiner ursprünglichen Aufgabe‚ der Jagd auf Wasserwild, zuzuführen und nicht zu einem Gesellschaftshund „verkommen“ zu lassen.
Im Original ‚Är tollaren en retriever?‘ von Johan Stenebo, in der deutschen Übersetzung von Heike Meister.
Ist der Toller ein Retriever?
Im Jahre des Herrn 1653 schrieb der Kolonialherr Nicholas Denis in der jungen französischen Kronkolonie Acadia, dem heutigen Nova Scotia, folgende Worte nieder:
Die Wildgänse und Enten kommen immer näher. Wenn sie sehr nahe sind, bewegt der Fuchs nur seinen Schwanz....Wir lehren unsere Hunde, es dem Fuchs gleichzutun, und auch sie schaffen es, das Wild anzulocken ... Wenn das Wild in der richtigen Position zum Schuss ist, wird das Feuer eröffnet ... Gleichzeitig springt der Hund ins Wasser und wird hinausgeschickt ... Er holt die Vögel aus dem Wasser und wird wiederum hinausgeschickt, um sie einen nach dem anderen zu holen.“
Diese erste Beschreibung des Tollers entstand gut zweihundert Jahre vor der Entstehung der anderen Retriever-Rassen. Die Geschichte machte den Toller zu einem Sonderling, einem ungeschliffenen Rohdiamanten. Um dies richtig verstehen zu können, muss er jedoch im richtigen Zusammenhang gesehen werden.
Was ist ein Retriever?
Welche Kriterien muss eine Hunderasse erfüllen, um zu den Retrievern gezählt zu werden? Ein Gesichtspunkt sollte ein gemeinsamer historischer und genetischer Ursprung sein. Ein anderer Aspekt ist eine gemeinsame Arbeitsweise. Erfüllte eine Rasse alle beide oder zumindest eines der Kriterien, so dürfte die Zugehörigkeit eindeutig sein. Das Interessante am Toller in dieser Beziehung ist jedoch, dass er weder das eine noch das andere Kriterium erfüllt.
Ursprung und Geschichte der Retriever
Für fünf der Retriever-Rassen beginnt die Geschichte im Jahr 1497 mit der Entdeckung Neufundlands und dessen enormen Fischgründen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden die Grand Banks von Fischern aus der Bretagne, aus Spanien, Portugal, Frankreich, von den britischen Inseln und aus den Niederlanden besiedelt. Mit den Fischern folgten Schiffshunde, die die Aufgabe hatten, Fische aus dem Meer zu holen sowie über Bord gegangene Gerätschaften aus dem Wasser zu bringen.
Diese Schiffshunde unterschieden sich zum Teil sehr voneinander, hatten jedoch zwei Dinge gemeinsam: ihre Wasserfreude und ihre Geschicklichkeit.
Auf diese Weise wurden allmählich neue Hundetypen in den „Schmelztiegel“ Neufundland eingeführt, die sich im Verlauf von mehreren hundert Jahren zu den sogenannten Neufundland-Hunden entwickelten. Die kleinere Form, die sogenannten St.Johns-Hunde, war für ihre vorzüglichen Leistungen im Apportieren bekannt. Sie begleiteten heimkehrende Schiffe im 18. und 19.Jahrhundert in die Alte Welt.
Die Entwicklung von Feuerwaffen eröffnete neue Möglichkeiten der herrschaftlichen Drück- und Treibjagden. Die damals weit verbreiteten Wasserspaniels wurden nach und nach mit St.Johns-Hunden gekreuzt, um schließlich ganz von ihnen ersetzt zu werden.
Die geschickten englischen Wildhüter taten ihr Bestes, um diese Rohdiamanten zu vorzüglichen Apportierhunden zu schleifen. Der Rest ist Geschichte.
Ursprung und Geschichte der Toller
Kynologischen Experten zu Folge begann die Entwicklung des Tollers entlang der mittelalterlichen Nordseeküste. Von dem dortigen Reichtum an Wasservögeln profitierte sowohl der Bauernstand als auch der Adel. Um diese Vögel zu jagen, bedienten sich die Menschen vielfältiger Jagdmethoden: Wurfnetze, feste Netze, Blasrohre, Pfeile, Steine, Jagdfalken, Schlingen, Gift, Fallen, Stöberhunde und Lockhunde.
Eine beliebte Art der herrschaftlichen Jagd war die Jagd mit sog. „decoys“, wobei Lockvögel in kleineren Seen oder Teichen verteilt wurden. Die jährliche Ausbeute dieser Jagdmethode ging in die Tausende.
Das einfache Volk musste sich mit der Jagd in Sümpfen und folglich geringerer Jagdbeute zufrieden geben. Diese Beute war jedoch ausreichend, um eine Gemeinschaft von sogenannten „market hunters“ auf der Jagd zu versorgen. Als Lockhunde wurden meist verschiedene Spaniel-ähnliche Hunde eingesetzt.
Allmählich entwickelten sich zweckmäßige Hunderassen, die Red Decoy Dogs oder Coy Dogs genannt wurden, in den Niederlanden bekamen diese Hunde den Namen Kooikerhondjes. Spaniels, die diesen Formen ähnelten, folgten den französischen Auswanderern nach Acadia, dem heutigen Nova Scotia und seinem unglaublichen Reichtum an Wasservögeln. Dieser Landstrich war arm, die Fischgründe boten die einzige Möglichkeit, das Überleben zu sichern. Die Lockhunde ermöglichten es den Fischern, auch bei schwindenden Fischbeständen zu jagen. Dieser Typ Hund konnte sich während der Jahrhunderte in dieser abgeschiedenen Gegend erhalten. Die Isolation dauerte bis in unser Jahrhundert und wird auch durch die eigene Sprache der Bewohner, dem „acadian english“ (eine anglofizierte Form des Französischen) deutlich.
Den einfachen, armen Menschen Acadias fehlten die Ressourcen, die ihnen die englische Aristrokatie bieten konnte, aber ihnen mangelte es gleichwohl nicht an Können. Ein Hund war dort nur dann etwas wert, wenn er etwas zur Ernährung seines Besitzers beitragen konnte. Es kam nicht in Frage, einen unnützen Hund durchzufüttern, Welpen „zum Spaß“ aufzuziehen war undenkbar. Das Zuchtbuch blieb bis in unser Jahrhundert hinein offen.
Haupttyp und Richtlinie war ein Spaniel, der dem Kooiker ähnelte. Durch das Einkreuzen von dort vorkommenden Collies, anderen Spaniels und Hofhunden kristallisierte sich langsam eine andere Form heraus. Wahrscheinlich wurden die Ahnen des Tollers sogar mit den bereits erwähnten Schiffshunden gekreuzt, als die Schiffe in Acadias Häfen anlegten.
Eitelkeit machte aus einem Spaniel einen Retriever
Zu Beginn dieses Jahrhunderts bestand die Rasse aus einigen hundert Individuen; diese Anzahl sank jedoch mit dem Bestand an Wasservögeln. Das Vorkommen dieser Hunde war auf die Südspitze Nova Scotias begrenzt. Die wenigen bekannten Hunde wurden Little River Duck Dogs genannt. Ein Duck Dog, „a dog that retrieves downed waterfowl“, ist eine nordamerikanische Bezeichnung für „Wasservogelspezialisten“.
Der Oberst Cyril Colwell, damals wohnhaft in der Provinzhauptstadt Halifax, hatte um 1930 ein Auge auf den Toller geworfen. Colwell war ein wenig eitel; seine große Begabung lag in der Vermarktung von Dingen. An der Jagd war der Oberst gänzlich uninteressiert.
Gemeinsam mit einem Kompagnon begann er, die Zucht dieses kuriosen kleinen Hundes in Gang zu setzen. Dieser Hund sollte der Provinz zu Ehre gereichen und den Züchtern einen finanziellen Gewinn verschaffen. Sogar Schmalfilme über den Hund wurden gedreht und der Kennelclub so lange bearbeitet, bis er diese neue Rasse 1945 in sein Register aufnahm. Der Name dieser neuen Rasse war nun offiziell Nova Scotia Duck Tolling Retriever, eine vornehme, aber missverständliche Art auszudrücken, was er bereits seit mehr als fünfhundert Jahren gewesen war: ein Wasservogelspezialist.
Der verkannte Wasservogelspezialist
Der Toller ist streng genommen kein Retriever – weder genetisch noch in der Arbeitsweise. Vielmehr ist er ein Wasservogelspezialist, und noch dazu ein relativ verkannter. Für die Acadier stand die Arbeit, die der Hund leisten sollte, im Mittelpunkt. Diese bestand zum einen Teil aus Tollingjagd (Wasservögel anlocken und apportieren), zum anderen Teil musste der Hund bei einer bestimmten – heute verbotenen – Jagdmethode apportieren. Diese Methode bestand darin, handzahme Enten mit einem Gewicht an den Füßen auf ein Gewässer zu setzen, damit sie wilde Artgenossen anlockten.
Bis vor etwa dreißig Jahren wurde in Nova Scotia mit Hilfe von Tollern gejagt und die Jagd auf diese einfache Art betrieben. Nach einer relativ geringen Phase der Ausbildung sollten die Toller zunächst die Vögel anlocken, später dann gefallenes Wild markieren und schließlich zuerst die verletzten, dann die übrigen Vögel in beliebiger Reihenfolge aus dem Wasser holen. Hierfür benötigte man natürlich gehorsame Hunde mit Wasserfreude, Ausdauer, Jagdlust und einem ausgeprägten Willen zur Zusammenarbeit. Steadiness und das Bringen in die Hand waren noch nicht gefordert.
Der Toller ist auch nicht dahingehend angelegt, eingewiesen zu werden. Die Kunst des Einweisens wurde nach der Landreform auf den britischen Inseln um 1750 entwickelt. Sie diente dazu, die damaligen Hütehunde zu steuern und wurde mit Erfolg später auf die Retriever-Rassen übertragen. Das Know-How des Einweisens erreichte jedoch niemals Acadia.
Natürlich kann der Toller genau wie viele andere Hunderassen erlernen, eingewiesen zu werden, aber es entspricht eben nicht seinen Anlagen.
„Der Toller gehört nicht auf die Jagdprüfung für Retriever“
Die Tatsache, dass der Toller kein Retriever, sondern ein unbedingter Wasservogelspezialist ist, sollte Konsequenzen in der Ausgestaltung der Zucht haben. „Meiner Meinung nach gibt es für einen Toller keinen Grund, warum er sich auf einer Retrieverprüfung gegen Labradore behaupten sollte.“, so Sten Christoffersson, der Autor mehrerer Jagdbücher.
An der Seite ihrer hochgezüchteten Vettern haben die Toller offenbar Probleme gehabt, und dies bereits, seit sie vor etwa zehn Jahren ihre Karriere begannen. Viele Richter sind skeptisch, ob der Toller auf den Retriever-Prüfungen wirklich zu seinem Recht kommt. „Ich glaube nicht, dass der Toller auf die Retriever-Prüfungen gehört. Er kommt überhaupt nicht zu seinem Recht, aber ich kann viele gute Dinge bei ihm feststellen. Das Problem gilt vor allem der Spontaneität, das Wild anzunehmen, sowie der Sucharbeit.“, so ein Richter für Jagdprüfungen. Eine Auffassung, die in Richterkreisen ziemlich verbreitet zu sein scheint.
„Der Toller ist ein ebenso guter Retriever...“
Der Rasseklub wird nun wahrscheinlich durch zwei Dinge vor grundlegende Probleme gestellt werden: Zum einen, weil die Retriever-Jagdprüfung als Zuchtkriterium für diese Rasse ungeeignet ist, zum anderen durch die wachsende Anzahl von Tollern. Das offensichtliche Risiko könnte sein, dass die jagdlichen Eigenschaften der Rasse außerordentlich geschwächt werden. Die Vorsitzende des schwedischen Rasseklubs, Ingrid Larsson, meint, dass „der Toller ein ebenso guter Retriever ist wie die anderen Retriever-Rassen. Bei den Retriever-Jagdprüfungen liegt das Problem darin, dass die Besitzer ihren Hund zu früh starten lassen.“, und weiter: „Manchmal möchten die Toller das Wild etwas untersuchen. Ich weiß nicht, woher das kommt, aber es kann auf der Jagd von Vorteil sein.“
Erfolgreiche Versuche wurden bereits mit inoffiziellen Tolling-Jagdprüfungen gemacht. Nachdem jedoch die Organisation und die Regeln verändert wurden, sank die Zahl der Teilnehmer auf weniger als die Hälfte. Ebenso wurden einige erste Preise nicht ausgeteilt. Lena Toftling, die seit mehreren Jahren Verantwortliche im Klub für die Abteilung Jagd ist, meint: „Ich kann mir nicht erklären, wie es dazu kam“.
Eine viertel Million Gründe jedes Jahr
Der Tollerzüchter Mr. John Norris aus England, selber Berufsjäger, meint: „Gewiss kann man den Toller auf der Fasanenjagd einsetzen, aber auf der Entenjagd kann er wirklich zeigen, was in ihm steckt.“ Er hebt das gute Markierungs-Vermögen sowie die ausdauernde Wasserarbeit hervor. Ingrid Larsson, Vorsitzende des schwedischen Tollerklubs meint: „Es gibt zu wenige Entenjäger in Schweden, als dass es sich lohnen würde, den Toller dahingehend zu spezialisieren.“
Die Statistik der Abschüsse spricht dagegen eine andere Sprache: jedes Jahr werden in Schweden eine viertel Million Gänse, Schwimm- und Tauchenten entlang der schwedischen Wasserwege, Seen und Küsten geschossen (zum Vergleich: es sind pro Jahr 200000 Rehe und 50000 Fasane). „Unser großes Problem ist, dass es nicht genügend Hunde für die weit verbreitete Vogeljagd im Lande gibt.“, erzählt Hans von Essen von der Schwedischen Jägervereinigung. Legt man zu Grunde, dass etwa 10-20% der Schüsse nicht sofort tödlich sind, so bedeutet dies eine Anzahl von 25000 bis 50000 waidwunden Vögeln im Jahr. Der Gesetzgeber fordert, dass vom nächsten Jahr an bei allen Jagden auf Wasservögel ein ausgebildeter Hund zugegen sein muss. Die Anzahl an registrierten Spaniels, Retrievern und anderen tüchtigen Vogelhunden aus jagdlich geführten Linien decken nur einen Teil dieses großen Bedarfs an Apportierhunden für die Wasserarbeit.
Gewiss gibt es genügend gute Gründe, den Toller das sein zu lassen, was er immer gewesen ist: ein Duck Dog, ein unter Umständen verkannter aber tüchtiger Wasservogelspezialist mit einer eigenen Einordnung in die Familie der Retriever und Spaniel und mit einer eigenen Jagdprüfung. Genauer gesagt sind es eben eine viertel Million Gründe.
Nachtrag:
In Schweden sind die Tolling-Jagdprüfungen mittlerweile vom Spaniel- und Retrieverclub (SSRK) offiziell anerkannt und erfreuen sich großer Beliebtheit. Auch in Deutschland ist der Jäger per Gesetz verpflichtet, bei der Jagd auf Wasserwild einen brauchbaren (im Sinne des Gesetzes) Jagdhund mit sich zu führen.
Ich möchte mich an dieser Stelle nochmals bei Heike für diese hervorragende Übersetzungsarbeit bedanken! Mein besonderer Dank jedoch geht an Johan für seinen unerschöpflichen Einsatz, den Toller als das zu betrachten und zu fördern, was er in seinen Augen ist: Als der Spezialist für die Wasservogeljagd.